Wenn Not tatsächlich erfinderisch macht, dann könnte 2021 das Jahr sein, in dem Agenturen die Art und Weise, wie sie arbeiten, nachhaltig verändern. Lee Beale, Managing Partner bei CROSSMEDIA USA, erläutert, warum eine kritische Auseinandersetzung mit Third-Party-Daten längst überfällig ist.2021 ist auf den ersten Blick entmutigend. Aber könnte 2021 vielleicht das Jahr der Wiedergeburt sein?
Das erste Quartal wird die Abschaffung der individuellen Werbe-ID (IDFA) von Apple mit sich bringen. Gleichzeitig ringen wir mit der Frage, wie wir die Auswirkungen der Abschaffung der Third-Party-Cookies in Chrome durch Google im Jahr 2022 am besten abmildern können. Und dann ist da noch das anhaltende Thema „Datenschutzbestimmung für Verbraucher“ und die Unsicherheit bezüglich Covid-19.
Aber: Wenn Not wirklich erfinderisch macht, dann könnte 2021 das Jahr sein, in dem wir zu den Grundlagen zurückkehren. Tatsächlich sage ich voraus, dass 2021 das Jahr sein wird, in dem das Handwerk – und zwar die Form, die von menschlicher Intuition und Kreativität geprägt ist – seine zentrale Rolle an der Seite von Technologie und Algorithmen, auf die wir uns blind verlassen haben, zurückerobert. Das vergangene Jahrzehnt wird uns in Erinnerung bleiben als das Jahrzehnt, in dem unsere technologischen Fähigkeiten die Zielgruppenansprache in der digitalen Werbung (vermeintlich) präziser gemacht haben; oft auf Kosten des gesunden Menschenverstandes, der Neugierde und des Bauchgefühls.
Das Jahr 2021 bietet der Agenturwelt die Chance, ihre Herangehensweise an Kundenbeziehungen neu zu gestalten. Das kann die Bedeutung von Agenturen für Kunden und damit auch die Art und Weise, wie sie Personal und Ressourcen einsetzen, grundlegend verändern. Endlich gibt es einen klaren Weg, wie sie eine grundlegende neue Rolle als strategischer Partner einnehmen und nicht nur als Verwalter von Media-Einkäufe dastehen – eine Rolle, in der ihre Verantwortlichkeit und ihre Transparenz in der Vergangenheit in Frage gestellt wurden. Agenturen haben nun die Chance, endlich mehr Fokus auf Beratung zu legen – ein Leistungsrahmen, der die Beratungs-Newcomer unlängst zu attraktiven Alternativen für Marken gemacht hat. Das ist jedoch leichter gesagt als getan, wenn man sich das angelernte Verhalten in Agenturen so anschaut.
Eine der besten Arten, wie Agenturen beweisen können, dass sie wirklich im Sinne und zum Wohle ihrer Kunden handeln, besteht darin, neue Wege zu beschreiten, von denen Marken profitieren, anstatt unter der Fuchtel von Facebook und Google dahin zu dümpeln. Alle diese Plattformen entwickeln ihre Algorithmen ständig auf eine Art und Weise weiter, die fast ausschließlich eigennützig ist, jedoch unter dem Deckmantel der “Optimierung” agiert. Ihr überwältigender Vorteil beim Auslesen von Verbraucher- und Leistungsdaten entsteht mit Hilfe von großen Marken, die signifikante Teile ihrer Budgets auf diesen Plattformen ausgeben. Diese Marken füttern mit ihren Aktivitäten die Algorithmen der Plattformen, von denen dann nicht nur die Marken selbst profitieren, sondern gleich die gesamte Kategorie. Und die ganze Zeit über hören Facebook und Google die Kasse klingeln, während sie den Ruhm dafür einheimsen, dass sie ausnahmelos allen Unternehmen zu “Wachstum” verhelfen.
Marken müssen damit beginnen, ihre eigenen Algorithmen als Bollwerk gegen die Walled Gardens zu entwickeln, und eigene Evaluationstechniken (z. B. Experimente zur Inkrementalität) aufzusetzen.
Es gibt neue Marktteilnehmer wie das Start-up Chalice, die den ersten Spatenstich gemacht haben, indem sie ihren Kunden mehr Kontrolle und Selbstbestimmtheit darüber geben, mit welcher Logik sie die großen DSPs füttern. Chalice baut benutzerdefinierten Algorithmen, indem neu modellierte Auktionsdaten zurück in DSPs spielt, und die Gebotsabgabe so zu steuern, dass sie den Markeninteressen mehr dient als denen der Plattformen. Es ist eine der wichtigsten Aufgabe von Agenturen, Kunden in deren eigenen Sinne durch die Bewertung und den Einsatz dieser neuen Tools zu navigieren. Dabei geht es immer darum, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der in der rechten Gehirnhälfte angedockten intuitiven Bewertung und dem in der linken Gehirnhälfte verorteten analytischen Verstand zu schaffen.
Eine der unbeabsichtigten Folgen des Audience Targeting in der programmatischen Werbung ist, dass wir aufgehört haben, uns ausreichend darum zu kümmern, wo Werbung landet. Das ultimative Marken-Engagement der Verbraucher findet an der Schnittstelle von “wer”, “wann” UND “wo” statt. Wenn Qualität wirklich wichtig für die Effektivität ist, dann müssen wir uns wieder auf den Kontext konzentrieren. Es gibt bereits spannende Entwicklungsansätze von Technologien, die im Bid-Stream angesiedelt sind, um besser analysieren zu können, wo Botschaften tatsächlich ausgespielt werden. In einer zukünftigen Welt mit bequemen Third-Party-Verhaltenskäufen, können wir den Kopf nicht mehr in den Sand stecken. Wir müssen uns der Realität stellen: Wo taucht Werbung auf und wo zeigt sie tatsächlich Wirkung? Technologie kann uns dabei helfen, Unterkategorien zu entdecken, in denen wir Auktionen gewinnen können. Mit diesem Wissen können wir das Skalpell ansetzen, um die “menschlichen” Entscheidungen hinsichtlich Marketing-Umfeldern voranzutreiben – ohne dubiose Third-Party-Daten.
Jede Agentur, ob unabhängig oder als Holdinggesellschaft, sollte proaktiv in diesem Sinne denken, planen und investieren. Wir haben definitiv große Schritte unternommen, um vieles, was in unserem Umfeld schlecht lief, zu verbessern. Aber solange wir als Agenturen nicht vollständig für Transparenz und Fairness einstehen, werden unsere Kunden weiterhin der Gnade der “Walled Gardens” ausgeliefert sein. Agenturen wurden oft dafür kritisiert, dass sie sich vornehm zurückhalten und Intransparenz zulassen. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als einen echten Wendepunkt in der Branche, um die Art und Weise, wie wir arbeiten, wirklich zu verändern, indem wir maschinelle und menschliche Intelligenz kombinieren.
Dieser Artikel ist zuerst am 26.02.2021 auf Advertising Week 360 erschienen.